Das Dilemma überalterter genealogischer Vereine

Von der  Schwierigkeit, analoge Tradition mit digitaler Gegenwart & Zukunft zu verbinden

Fiktion?

Erinnern Sie sich noch daran, als Sie (vielleicht) vor zwei Jahrzehnten, einem Verein, Ihrem Verein, beigtreten waren und zum ersten Mal an einer Jahres- bzw. Mitgliederversammlung teilnahmen? Schon die Anreise war verheißend, denn der Veranstaltungsort und das Beiprogramm versprachen neue Erfahrungen. Wen würden Sie treffen, was könnten Sie als Youngster von den erfahrenen Familienforschern lernen? Und dann am Vorabend des Treffens beim “Gemütlichen Beisammensein zum Kennenlernen” als Sie erwartungsvoll den Veranstaltugsort betraten, diese Menge an Leuten. Schwierig einen Überblick zu gewinnen. Am Anfang noch ein bisschen schüchtern, befanden Sie sich schnell unter neugierigen Gleichgesinnten, und schon begann das Ausfragen und Fachsimpeln, Austauschen von Adressen und Telefonnummern.

Wo forschen Sie? Haben Sie schon etwas veröffentlicht? 
Wenn nicht, wir haben hier eine gute Zeitschrift.
Darf ich Sie mit dem Schriftleiter bekannt machen?

Sie sind begeistert und tragen sich den Termin des nächsten Jahres freudig in Ihren Terminkalender ein. Und auf der Heimreise bedauern Sie, nicht mit allen der Anwesenden ins Gespräch gekommen zu sein. Ja, das hat es wirklich gegeben!

Schon zehn Jahre später treffen Sie eine leichter überschaubare Menge und ein weiteres Jahrzehnt danach können Sie die teilnehmenden Mitglieder an wenigen Händen abzählen. Für die vakanten Vorstandsaufgaben finden sich keine Bewerber. Was ist passiert? Misswirtschaft? Fehlende Agebote? Nein. Das kann es nicht sein. Die Zeitschrift ist weiterhin großartig, das Archiv bietet immer wieder interessante Funde. Und trotzdem, viele der nun wenigen Anwesenden verstehen die Welt nicht mehr.

Warum? Ganz einfach. Diese Welt hat sich verändert. Einige haben daraus ihre Schlüsse gezogen und ihre Aktivitäten verlagert. Woandershin. Die Zauberworte heißen INTERNET & DIGITAL. Die Anwesenden haben davon nichts mitgekriegt. Nein, es ist schlimmer. Sie wollten nichts mitkriegen, Veränderungen nicht akzeptieren. Sie wollen die gewohnten Büchertische, den Austausch von sorgfältig machinengeschriebenen Ahnenlisten. Sie sind sich einig in ihrer Ablehnung neumodischer Sachen. “T. Sie erwähnen Facebook? Ich hatte Sie immer für einen seriösen Genealogen gehalten.” Natürlich lehnen sie nicht alles ab. Die meisten haben nun ja  wenigstens eine Mailingadresse. Dieser Fortschritt hat sie in die Mailinglisten gespült. Die Möglichkeit Fragen zu stellen und Antworten gleich von mehreren zu bekommen, hat sich nun beschleunigt und vervielfacht. Der Besuch des jährlichen Vereinstreffens ist weniger wichtig geworden. Für benötigte Informationen gibt es jetzt ja viele Quellen.

Gründe

Wenn wir nun das fiktive Geschehen verlassen, wird mancher, hoffentlich weniger krass, einiges davon in seinem Verein wiederfinden. Lassen Sie uns hier einen Schnitt machen und in die Süddeutsche Zeitung vom Gründonnerstag 2019 schauen. In zwei Artikel bin ich tiefer eingetaucht. Einer davon, “Gucken bis zum Abwinken”, befasst sich mit dem veränderten Sehkonsum. Fernsehen versus Streaming. Das ist zwar Video- und Audio-Kommunikation, kann aber was den Trend betrifft durchaus auf die für uns relevante Kommunikation übertragen werden.

Zitat: SZ vom 18./19.4.2019

Die digitalen Netflix & Co versus analog konservativem TV-Konsum von Tagesschau und Tatort. Mehr als 50 % der 18- bis 34-jährigen haben mit den bisherigen Gewohnheiten gebrochen. Statt regelmäßig vor dem Fernseher zu sitzen, verbringen sie viel Zeit im Internet,  leisten sich schnelles WLAN, und sehen Nachrichten und Filme per Smartphone, Tablet oder luxuriöser per Smart-TV. Und wo verorten wir unseren Genealogennachwuchs, wenn nicht in dieser Gruppe?

Auch für diese gilt: Wenn zwischen den genealogischen Freunden der hier modellhaft  genannten Altersgruppe und ihren älteren Genealogenkollegen keine Kluft entstehen soll, dann müssen wir uns in den Kommunikationsgewohnheiten aufeinander zu bewegen. Das mag Überwindung kosten, aber hier müssen die Älteren sich herausgefordert sehen, sich auf die Kommunikationsformen der Jüngeren einzulassen.

Social Media überschätzt?

Und was sollen wir denn bitteschön nun mit SocialMedia wie FaceBook, Twitter und Instagram anfangen? Nicht aufregen, ganz entspannt bleiben. Ein Familienforscher, auch ein Verein, publiziert seine Inhalte immer noch per Zeitschrift, Website oder Blog. Social Media sind nichts als Marketing.  In unserem Falle Verbreitung unserer Botschaften und Inhalte. Sie sind kein konkurrierendes Publikationsmedium.

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Natürlich will auch der Umgang damit gelernt sein. Und es ist wahrhaftig nicht immer leicht,  über diese Medien im Gespräch zu bleiben. Denn das ist ja das Ziel. Beispiel Instagram. Wenn man einmal damit angefangen hat gilt, ‘Das muss immer bespielt werden’.

Kooperieren

Nun haben wir Familienforscher ja einen großen Verein, der  historisch gewachsen den Computer in seinem Namen trägt, aber längst alle Formen zeitgemäßer Kommunikation und digitaler Techniken anwendet, also Inhalte per Druck, Film, Web und Blog generiert und u.a. über Social Media verbreitet. Kleinere Regional-Vereine könnten sich auf stärkere Kooperation einlassen. Es gibt dafür bereits gute Beispiele. Was dem aber in vielen Fällen entgegensteht, sind von Mitgliederseite die Weigerung, erforschte Daten öffentlich zu stellen, von Vereinsseite, die Sorge um Eigenständigkeit bzw. Verlust von Alleinstellungsmerkmalen.

Frage

Wie kann es uns gelingen, das derzeitige Dilemma im Sinne unseres Hobbys zu lösen?

Antwortversuch

Ohne Scheuklappen debattieren – argumentieren – mehr auf Gemeinsames, weniger auf Trennendes besinnen – neugierig bleiben – in neuen Techniken Chancen sehen – ausprobieren – übertrieben Modisches aussortieren, Brauchbares übernehmen – traditionelle mit modernen Techniken verbinden.

Wir können, nein wir müssen, es schaffen.