Wohnverhältnisse der Einwanderer in Lower Manhattan

Das Tenement-Museum

“[…] the ageold urban difficulty of garbage and rubbish disposal was intensified by the accumulation of filth in […] alleys, and narrow, unpaved streets. As late as 1859 more than two thirds of the city was unsewered.”[1]

Diese Schilderung des südlichen Manhattans in der Mitte des 19. Jahrhunderts beschreibt den armseligen Zustand müllverdreckter unbefestigter Straßen, in denen die Masse der ankommenden Einwanderer ihre erste Unterkunft fand. Hier reihte sich Mietshaus an Mietshaus, jedes mit engen dunklen, schlecht belüfteten Wohnungen und traurigen sanitären Einrichtungen, die sich meist außen im Hof befanden. Mangelnde Straßenbefestigung, fehlende Kanalisation und Wasserversorgung unterschied sich zwar nicht von vergleichbaren Zuständen im Europa dieser Zeit, was die Situation in New York aber ungleich stärker belastete, war die Masse der hier dicht gedrängt lebenden Bevölkerung.

orchard 97
Fassade des Tenement Buildings Nr. 97 Orchard Street. Roter Rahmen bezeichnet eine Wohnung.

Immer noch ist das nun bereits 60 Jahre alte Werk von Otto Ernst, “Immigrant Life in New York City 1825-1863, New York 1949”, für eine Vorstellung von den Lebensumständen der Einwandererbevölkerung dieser Jahre eine grundlegende Darstellung. Ernst beschreibt u.a. auch, wie die Einwanderer mit wachsendem Wohlstand von der Südspitze Manhattans schrittweise weiter nördlich in weniger dicht besiedelte  Wohngebiete wandern. Neu Ankommende rückten dann nach, so dass ein Druck von der Südspitze Manhattans Richtung Norden entstand.
Vor 10 Jahren hatte ich mich in einer Proseminararbeit – also theoretisch – mit diesem Umfeld beschäftigt. Im November 2009 stand ich nun selbst in einigen dieser Wohnungen. Sie befinden sich im Tenement (Mietshaus)  No. 97 Orchard Street. Das beeindruckende Erlebnis ermöglichte das Tenement Museum, New York.
Tenement Orchard Street 97

Für eine konkrete Vorstellung von der Örtlichkeit ist in diesem Fall die sonst zu Recht kritisierte Street View-Funktion von Maps.Google ein Glücksfall. Schauen Sie sich einmal nach links und rechts um, gehen Sie auf die gegenüberliegende Straßenseite und blicken Sie auch in die Höhe.
Die Website des Tenement Museums ist recht funktional aufgebaut. Die Buttons unten links führen zu weiteren instruktiven Präsentationen über den Google-Blog (derzeit Familie Schneider), Facebook (Besucherkommentare), Twitter (aktuelle Hinweisnotizen) und Flickr (Bilddatenbank). Leider verliert man in der Bildfülle der Datenbank die Übersicht. Das ist nicht so gut gemacht. Ich habe deshalb folgende Eindrücke herausgegriffen.

  • Enges Treppenhaus
  • In eine mit dieser nahezu identische Wohnung von 1869 tritt man durch die fensterlose Küche ein. Rechts schließt sich ein kleiner dunkler Schlafraum an. Links der Küche befindet sich der Wohnraum. Durch dessen 2 Fenster kommt das einzige Tageslicht für die geamte Wohnung.
  • Im Laufe der Jahre wurden die Wohnungen insofern verbessert als über Durchreichen/Innenfenster Licht aus dem zweifenstrigen Wohnraum an die dahinterliegende Küche und den anschließenden Schlafraum weitergegeben wurde. Die eigentlich nur dämmerigen Räume erscheinen durch die Photoausleuchtung heller und freundlicher als sie es in Wirklichkeit sind.

Die Enge der gestaffelten dreiräumigen Anordnung ist sehr gut auf dem über das Blog erreichbaren virtuellen Rundgang zu erkennen.
Zum eigenen “Rundgang” ist auch das Album “The Moores apartment restoration” geeignet.
In späteren Jahren verbessert sich das Wohnen in Lower Manhattan wenigstens um fließendes Wasser und Toiletten auf den Fluren. Wenngleich die Wohnqualität im sich ausdehnenden NY in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts steigt, bleibt die Wohnungsstruktur hintereinder angeordneter Zimmer mit dem hellsten Raum zur Straße auch in den späteren Hausbauten als Typ überall erhalten.  Solche Hausbeispiele, die es in großer Zahl noch heute gibt, konnte ich in  Hoboken  und den angrenzenden Gemeinden auf der New Jersey-Seite des Hudson Rivers und in Varianten in West Orange ansehen. Hier wohnten seit ihrer Einwanderung ab 1890 für mehrere Jahrzehnte die Familien Hessel, Prellberg mit ihren als Teuthorn geborenen Frauen Petra und Louise und ihren Kindern.


[1] New York Association of Improving the Conditions of the Poor, Sixteenth Annual Report, 1859, p. 50, zitiert nach Robert Ernst: Immigrant Life in New York City 1825-1863, New York 1949, S. 22.



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