Am 4. Dezember 1809 wurde die Universität Leipzig 400 Jahre alt. Im Anhang des Leipziger Adressbuches 1810 (Leipziger Adreß-, Post- und Reise-Kalender auf das Jahr 1810) findet sich ein 16 Seiten langer Bericht über die Feier dieses Jahrestages. Im ersten Teil werden die Umstände der Gründung und die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte mit den Augen der Zeitgenossen – 200 Jahre zurück – geschildert.
Es folgt eine aus dem Digitalisat der Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) gewonnene Abschrift.
Kurze Übersicht
der
Geschichte der Leipziger Universität und ihrer vierten
Säcularfeyer am 4. December 1809
Der 4. December des 1809. Jahres war für Leipzig
ein sehr festlich schöner Tag, an dessen hoher Feyer die
Bewohner dieser Stadt um so mehr mit allgenmeiner
Freude Theil nahmen, je lebhafter dieser Tag das viel-
fältige Gute und tausendfache Heil anschaulich machte,
welches aus den Wissenschaften, für das bürgerliche Le-
ben in so reicher Fülle hervorgeht. Es war dieser Tag,
der Gedächtnistag der Gründung der hiesigen Universi-
tät, und die vierte Jubelfeyer derselben
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Um etwas zur Gründung der Leipziger Universität zu erfahren, wird man natürlich normalerweise zu aktueller Literatur, für eine schnellen Überblick duchaus auch zum Online-Lexikon Wikipedia greifen. Aber der zeitgenössische Bericht hat nicht nur einen eigenen Charme, er verrät auch dieses gewisse Selbstverständnis einer vordemokratischen Gesellschaft, das dem mit dieser Zeit historisch weniger Vertrauten aus der heutigen Perspektive seltsam vorkommen mag. Das Flair der Zeit entströmt auch dem Satzbau und Wörtern, deren damaliger Sinn sich uns erst erschließt, wenn wir ihren mit der Zeit eingetretenen Bedeutungswandel verstehen.
„Nachdem infolge von Streitigkeiten an der Karls-Universität Prag im Zusammenhang mit der Hussiten-Bewegung der böhmische König Wenzel IV. durch das Kuttenberger Dekret die dortige böhmische Nation gegenüber den anderen Universitätsnationen bevorzugte, zogen 1409 etwa 1000 der dortigen deutschen Lehrkräfte und Studenten nach dem in der damaligen Markgrafschaft Meißen gelegenen Handelszentrum Leipzig.“ (Wikipedia)
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Die Gründung dieser Universität ward im Jahre
1409 durch die Auswanderung des größten Theils der
Professoren und Studenten der Prager Universität be-
wirkt. Diese Universität war nämlich von dem röm.
Kaiser Karl IV. im Jahre 1360 zu Prag errichtet wor-
den, und durch mehrere ertheilte Privilegien und Frey-
heiten zu einem bedeutenden Ansehen emporgestiegen, so
daß zuweilen die Anzahl der Studirenden sich daselbst
bis auf 4000 belief. Allein verschiedene ungünstige
Umstände trugen dazu bey, daß diese Prager Universität
schon nach den ersten vierzig Jahren wiedrum in Ab-
nahme gerieth. Eine wesentliche Ursache ihres Ver-
falls lag namentlich in der Verschiedenheit der Reli-
gionsmeinungen; indem sich mancherlei anhaltende Strei-
tigkeiten und blutige Fehden deshalb entspannen, da
Huß und Hieroymus, zwey sehr beliebte Lehrer der
Universität im Jahre 1393, einen bedeutenden Anhang
unter den Studirenden erhielten, und hierdurch Par-
theyen sich bildeten, wovon jede über die andere das
Uebergewicht zu erhalten suchte. So wohl dieser Um-
stand, als auch vorzüglich der Uebermuth der eingebo-
renen Böhmen, welche mehr Stimmen in den öffent-
lichen Berathschlagungen verlangten als die übrigen drey
Nationen, und das herabsetzende Betragen des Böhmi-
(II.)
schen Königs Wenceslaus, der Spott, womit er die
Universität und ihre wiederholten Klagen behandelte;
indem er unter andern, sogar seinen Koch, einen
ungebildeten Menschen, zum Vorsteher machte; alle
diese mannichfaltigen Umstände veranlaßten endlich im
Jahre 1409 den größten Teil der auswärtigen Na-
tionen, sich diesen Bedrückungen zu entziehen. Pro-
fessoren und Studierende zogen aus Prag hinweg, um
eine anderen Ort aufzusuchen, wo ihre Ehre, ihre
Rechte und akademischen Freyheiten nicht gekränkt wür-
den. Sie wandten sich nach Sachsen, kamen ungefähr
2000 an der Zahl nach Leipzig, wo sie sich an den Her-
zog Friedrich den Streitbaren, der im Jahre 1423,
Churfürst ward, und dessen Bruder, den Herzog
Wilhelm, wandten, und diese um Aufnahme baten,
welche ihnen auch bewilligt ward. Diese Fürsten er-
kannten, daß eine Pflanzschule der Wissenschaften ihren
Ländern sehr viele Vortheile bringen würde. Sie tra-
ten deshalb mit den Landesständen in Unterhandlungen,
die denn auch sehr gerne ihre Einwilligung dazu gaben,
den eingewanderten Fremdlingen ihr Gesuch zu gewäh-
ren. Es wurden Abgesandte nach Rom geschickt, um
von dem Pabste Alexander V. die Bestätigung zur Er-
richtung der Universität in Leipzig zu erhalten, indem
zugleich die Bischöffe von Meißen, Merseburg und Zeitz,
nebst andern Prälaten, so wie die ankommenden Pra-
ger Professoren über die Einrichtung dieser Universität
zu Rathe gezogen wurden
Man war bereits über die Einrichtung der Univer-
sität übereingekommen, als endlich die erwartete Bulle
zur Bestätigung derselben von dem Pabste anlangte, in-
dem derselbe sich darin als einen Beförderer der Künste
und Wissenschaften rühmte, und in der Hoffnung, durch
diese ertheilte Bestätigung die Fürsten dem päbstlichen
Stuhle noch mehr zu verpflichten, aus besonderer Ach-
tung für obige Fürsten und deren treue Anhänglichkeit
an der katholischen Religion, ihr Gesuch bewilligte.
Der Pabst sicherte in dieser Bulle der Universität seinen
Schutz und die Privilegien zu: daß alle vier Fakultä-
ten das Recht haben sollten, zu lehren und zu disputi-
ren, daß die Professoren und Studenten die Freyheiten
anderer Universitäten genießen und die Doktoren und
(III.)
Magistri berechtigt seyn sollten, diejenigen, welche sich
zur Erlangung dieser akademischen Würden meldeten,
zu examiniren und zu promoviren, jedoch nicht ohne er-
langte Bewilligung des Bischoffs zu Merseburg, den
der Pabst zum Cantzler der Universität ernannte und
ihm die oberste Gerichtsbarkeit derselben übertrug.
Diese von dem Pabste der Leipziger Universität er-
theilten Privilegien, wurden in der Folge von mehrern
röm. Kaisern nicht alleine bestätigt, sondern auch zum
Theil noch mehr ausgedehnt; welche Begnadigungsbriefe
auch noch aufbewahrt werden.
Es ward nunmehr ein Tag zur Gründung der Leip-
ziger Universität gewählt, und hierzu der 2. December,
als der Tag nach dem 1. Advente festgesetzt. An die-
sem Tage wurde in dem Thomaskloster, in Gegenwart
der beyden Fürsten, der genannten Bischöffe und vieler
Prälaten und Landstände, den von Prag gekommenen
Professoren und Studenten, und der Geistlichkeit und
Stadtobrigkeit die Siftung und die päbstliche Bestäti-
gung der Universität öffentlich vorgelesen, und nach Art
der Prager Universität, ward die neue Universität in
vier Nationen: die Meißnische, die Sächsische, Bayer-
ische und Polnische nation eingetheilt. Von dieser Ein-
theilung hingen die Wahlen des jedesmaligen Rektors
der Universität und des Dekans, wie auch die Collegia-
turen ab, unter welchen Letztern man die Nutzungen
der Univeritätsgebäude verstand, welche unter mehrere
Professoren in Hinsicht auf die verschiedenen
Nationen vertheilt waren; indem bey der Stiftung der Universi-
tät, derselben auch gleich zwey Gebäude, welche von
allen Angaben befreyte bleiben sollten, ertheilt wurden,
wovon das erstere das große Fürstenkollegium, oder das
sogenannte Schwarze Bret, und das andere das kleine
Collegium war, das unter dem Namen Petrinum bekannt
ist. Bald nach der Stiftung der Universität kam das
sogenannte Frauenkollegium und später auch das kleine
Fürstenkollegium an dieselbe, in welches Letztere die
Collegiaturen aus dem Petrino verlegt wurden. Das
Collegium der Juristenfakultät war bis zum Jahre 1515
in der Thomaskirche gewesen, wo nunmehr Herzog
Georg ihr das Haus in der Petersstraße einräumte,
und der Probst zu St. Thomas für die Räumung der
(IV.)
Thomaskirche 200 rheinische Gulden der Juristenfakul-
tät zahlte, welche dieses Geld zur Erbauung des Juri-
dicums anwandte. Auf Vermittlung des Herzogs
Georg überließ auch der Rath im Jahre 1513 seinen
bisherigen Marstall in der Ritterstraße, der Universität,
aus welchem das rothe Collegium eingerichtet ward, so
daß die Universität nach und nach fünf Gebäude, und
im Jahre 1543, durch Schenkung des Churfürsten
Moriz, auch das Paulinenkloster, nebst der Kirche und
den dazugehörigen Gebäuden und der Bibliothek, wie
auch 2000 Gulden zur Einrichtung dieses Klosters und
zur besseren Unterhaltung der Professoren die fünf Dör-
fer: Zuckelhausen, Zwenfurth, Kleinwesen, Wolfsheim,
und Holzhausen, nebst einem Holze von 325 Ackern er-
hielt, nachdem vorher im Jahre 1438 schon die drey
Dörfer: Kötzchin, Markowitz und die hohe Heyde an
die Universität gekommen waren, indem statt des bis-
herigen Zuschusses von 500 Gulden aus der fürstlichen
Kammer, diese drey Dörfer ihr ertheilt wurden.
Auch machte sich der Churfürst Moriz dadurch um
die Universität sehr verdient, daß er mehrere Stipen-
dien für arme Studirende, und zur Speisung derselben
in dem Convictorio jährlich 600 Dresdner Scheffel Korn
bestimmte, worin dann außer den Churfürstlichen Tischen,
nach und nach durch verschiedene milde Stiftungen meh-
rere Tische hinzu kamen.
Der erste Rektor der Universität war Johann von
Münsterberg, welcher das Geld, das er bereits in Prag
zur Erbauung eines Collegiums für die Schlesier gesam-
melt hatte, theils zum Ankaufe des Dorfes Drinzin
in Schlesien, das aber, wegen der großen Entfernung
bald wieder verkauft ward, theils in seinem Testamente
zur Erkaufung und Einrichtung des Frauenkollegiums
bestimmte, welche Bestimmung sein Landsmann Johann
Hofmann vollzog.
Schon bey der Stiftung der Universität, fand die
Eintheilung derselben in vier Fakultäten, die theologi-
sche, juristische, medicinische und philosophische statt.
Ueber die Arzneykunst wurden anfangs nur privatim
Vorlesungen gehalten, aber schon im Jahre 1438 ver-
ordnete Churfürst Friedrich der Gütige, zwey ordentliche
Professoren der Medicin, und auf Vermittlung des
(V.)
Herzogs Georg, ward von der Verlassenschaft des Dok-
tors der Arznneywissenschhaft Tockler, die dritte medici-
nische Professur gestiftet, wozu noch, der um die Uni-
versität so hochverdiente Churfürst Moriz, die vierte
Professur hinzufügte; und dessen Bruder, Churfürst Au-
gust, der medicinischen Fakultät auch den botanischen
Garten neben der Paulinerkirche einrichten ließ.
Während des verflossenen Zeitraums von 400 Jah-
ren, hatte sich die Liepziger Universität, trotz der viel-
fachen Stürme und Umwandlungen der Außenwelt,
mit immer zunehmendem schönen Flor, in einem so aus-
gezeichneten Glanze veredelter Geisteskultur erhalten,
daß sie als eine um Staat und Vaterland sehr verdiente
Planzschule der Wissenschaften, von dem In- und dem Aus-
lande mit besonderer Achtung genannt ward, als endlich
an dem Schlusse des 1809. Jahres die hundertjährige
Gedächtnisfeyer ihrer ersten Gründung nahte, wozu un-
ser allbeliebter Landesvater der Universität eine bedeutende
Summe geschekt hatte.
Durch ein besonderes Programm […]
Der interessierte Leser kann ab hier in der Originalfraktur den Ablauf der Feierlichkeiten weiter verfolgen.