… eine Bildbeschreibung
Eine typische Übung in meiner Schulzeit war die Bidbeschreibung. Vorder-, Mittel-, Hintergrund. Gucken, erkennen, beschreiben, interpretieren. Versuchen wir das doch einmal mit einem genealogischen Gegenstand.
(Die obige Darstellung lässt sich am Computer durch zweimaliges Klicken in einem gesonderten Tab auf lesbare Größe bringen.)
Ich blicke auf eine frisch erstellte Ahnentafel meiner Großeltern mütterlicherseits. Sie selbst am unteren Bildrand. Darüber die Reihe der vier Urgroßeltern, eine Reihe höher dann die acht 2xUrgroßeltern. Von den Mannesstämmen darin ist für MALINOWSKY und BURMEISTER hier Endstation, was besonders für die Linie von Opa Malinowsky unbefriedigend ist. Seine aus dem Osten vermutete Herkunft bleibt ein dringendes Forschungsziel. Nur die Familien PASEDAG und PETERSDORF schaffen es in die unvollständige 16er-Reihe, bis wir schließlich nur mit den kräftigen PASEDAGs weiter in die Vergangenheit zurückgehen können. Sie beherrschen die ununterbrochene Diagonale blauer Kästchen aus der unteren Bildmitte bis nach links oben.
Ja, sie stehen weiter ihren Mann die Pasedags, von der 6. bis in die 9. Generation nacheinander als Grobschmied, Hufschmied, Ackersmann und Gastwirt. Und spätestens jetzt soll der bis hier geduldige Leser erfahren, dass wir uns in der kleinen mecklenburgischen Ackerbürgerstadt Grimmen befinden und diese auch höchstens im engen Umkreis verlassen. Für Grimmen hat der Verein für Computergenealogie gerade ein Online-Ortsfamilienbuch publiziert, dem ich eine Abrundung meiner Familiendaten und Informationen über die ältesten Generationen verdanke, auf die ich alleine nicht gestoßen wäre.1
Hier in der Mitte des Bildes wird es im Jahr 1708 spannend, denn nun kommt durch die Heirat des Schmiedes Jacob PASCHEDAG2 mit der Bürgermeistertochter Margarethe FLITTNER die soziale Ebene der ratsfähigen Bürger in unser Blickfeld. An dieser Stelle bietet es sich an, die Perspektive zu wechseln. Wir begeben uns ganz in die Tiefe des Bildes zur dreizehnten und letzten erforschten Generation der Familie und stoßen dabei auf ein Ereignis, das nach heutigen Maßstäben zu den unsäglichen Vertrickungen der Vergangenheit zählt.
Die Familienwurzeln in Grimmen reichen bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurück. Für mehrere Jahrzehnte gestalten Familienmitglieder als Bürgermeister die Geschicke der Stadt bis zum Jahr 1715 mit. Es sind zunächst die Bürgermeister Gerd AVEN und dessen Sohn Nicolaus und Christoph VON DER LIPE. Mitte des 17. Jahrhunderts kommt mit dem Sohn des Gewehrhändlers Kilian FLITTNER aus dem thüringischen Suhl frisches Blut von außen in den Kreis der Stadthonoratioren. Es ist der Kantor Johann FLITTNER (1618-1678). Wikipedia verrät uns:
„Bei einer Reise durch Pommern erfuhr er in Tribsees von der vakanten Kantorsstelle in Grimmen, um die er sich erfolgreich bewarb. Ostern 1644 wurde er Kantor, übernahm gelegentlich auch Predigten. 1646 wurde er Diakon an der Stadtkirche von Grimmen und blieb bis an sein Lebensende in dieser Stellung. Bereits einen Monat nach Amtsantritt heiratete er die Witwe seines Vorgängers.“3
Die Vakanz war durch den Tod des Kantors Caspar HELM entstanden. Dessen Frau, Margarethe (1611-1685), Tochter des Bürgermeisters Nicolaus AVEN (1563-1613), war nun Witwe. Ihre Heirat mit dem sieben Jahre jüngeren neuen Kantor folgte dem Muster des durch Zunftwesen und sonstige Anrechte bestimmten Sozialsystems in der frühen Neuzeit. Zu Johann FLITTNER gibt es eine Kurzbiographie im Netz.4
Ihr Sohn gleichen Namens, Johannes FLITTNER (1652-1715), kam als Grimmener Bürgermeister durch mindestens sieben in seiner Amtszeit von 1695 bis 1697 geführte Hexenprozesse zu einer gewissen fragwürdigen Berühmtheit. Der Redakteur Wather Koß, Archivpfleger und Redakteur der Grimmener Kreiszeitung hat dazu geforscht. Er berichtet von drei Scheiterhaufen nachdem die Frauen unter verschärfter Folter Geständnisse abgelegt hatten. Als Anna Bützow am 9. März 1696 auf dem Markt im Feuer starb, war möglicherweise die kleine Magarethe FLITTNER mit ihren 10 Jahren unter den Gaffern. – Damit teile ich mit den Mitteln der Bildbeschreibung mit, was die Szene mir sagt, wie es gewesen sein könnte. – Was macht ein solch grausames Ereignis mit einem Menschen? Sicherlich ist das eine Frage aus heutiger Sicht. Als Familienforscher, der versucht, sich in die Biographie seiner Vorfahren hineinzuversetzen, komme ich aber an dieser Frage nicht vorbei. Jedenfalls wird dieses Töchterlein eines unbarmherzigen Hexenfressers ein Dutzend Jahre später die Frau des Schmiedes PASCHEDAG und damit Teil unserer Familie.
Hier schließt die Geschichte an die schon oben erwähnte Heirat der Margarethe FLITTNER (1686-1728) mit Jacob PASCHEDAG (1670-1752) an. Mit dieser Tatsache ist die Geschichte des alten Grimmen für immer eng mit unserer Familie verbunden.
Hier endet meine Beschreibung und Interpretation des Ahnentafel-Bildes.
Persönliches Erinnern
Aus den Familienerinerungen. (Orale Quellen von Leni & Hans-Jürgen Malinowsky sollen noch erweitert werden.) : Malerisches und zeichnerisches Talent aus Familie Burmeister / Heimatmaler / Tante Ella / Ferien mit Melken, Butterzentrifuge / Getränkevertrieb …
Besuch: Ich habe Grimmen in der ersten Jahreshälfte 2005 besucht. Von den damals entstandenen Aufnahmen hier eine Auwahl mit einem der Stadttore, dem Markt- bzw. Rathausplatz, dem vermuteten Wohnhaus des Sattlers Malinowsky und ein Blick vom als Museum genutzten Wasserturm auf die elipsenförmig angelegte Altstadt.
Eine schöne Darstellung Grimmens mit dem Schwerpunkt Architektur fand ich unter „Grimmen eine historische Kleinstadt in Vopommern“
Anmerkungen/Fußnoten
- Zum Online-Ortsfamilienbuch (OFB) Grimmen ↩︎
- Paschedag, eine ältere, damals gebrauchte Form des Namens Pasedag. ↩︎
- Konservierung von Pfarrwitwen ↩︎
- https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Flittner ↩︎
EH, 19.12.2024