Historische Auswanderungswege nach Chile (1)

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Per Segler nach Chile

Die systematische Besiedlung Südchiles begann am 25. August 1846 mit der Ankunft der Passagiere des Seglers Catalina im Hafen Corral der Region Valdivia. Sie waren aktiv angeworben worden, um die Urwaldregion urbar zu machen. Es hatte sich eine private Auswanderungsgesellschaft gegründet, deren Ansiedlungsprobleme auf den ersten Blick eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem nicht nur vom Scheitern bedrohten, sondern in den entscheidenden Anfangsjahren tatächlich gescheiterten Texasprojekts (U.S.) des Prinzen Solms hatte. Als die Einwanderer eintrafen, war der Initiator des Projektes nicht mehr im Besitz des versprochenen Landes. Allerdings gelang den Auswanderern, nicht zuletzt durch die unterstützende Politik des chilenischen Staates und eigene Kraftanstrengungen in relativ kurzer Zeit doch eine Erfolgsstory.

Es soll hier aber nicht um die Ansiedlung in Valdivia und die dann folgende Urbarmachung um den Llanquihue-See und die Gründung von Puerto Montt gehen, sondern um den langen Weg von Europa dorthin. Damit der Blick aus der Höhe der Zeitgenossen gelingt, bedarf es zeitgenössischer Berichte. Ich halte drei davon in Händen und möchte mit der Seereise aus dem Jahre 1850 beginnen. Die Beförderung mit einem Segelschiff war seit frühester Zeit selbstverständlich. So auch noch um die Mitte des Jahrhunderts. Erst allmählich setzte sich das Dampfschiff durch, bis dann um 1870 Liniendienste Chile nicht nur mit Europa verbanden, sondern auch die Häfen der Westküste Südamerikas bis nach Panama regelmäßig anliefen. Eine Seereise war extrem lang, immer auch gefährlich und auf jeden Fall entbehrungsreich.

 

Reise mit dem Segelschiff ‚Herrmann‘ vom 29. Juni bis 12. November 1850

Ich stütze mich im Folgenden auf die Tagebücher von Theodor Körner und seines Schwiegertvaters Carl Anwandter (Siehe Quellen).

Route des Seglers Hermann 1850 / Ausschnitt aus Buch Anwandter

Das Segelschiff Hermann verlässt am 29. Juni 1850 den Hamburger Hafen, wird zunächst von einem Dampfer bis Stade geschleppt und erreicht erst eine Woche später Cuxhaven. Es hat mit widrigen Winden zu kämpfen. Nach 14 Tagen ist endlich der offene Atlantik erreicht.

An Bord ist eine Auswanderergruppe von 85 Personen. Sie wird von Carl Anwandter, Apotheker, ehemaligem Bürgermeister des südbrandeburgischen Calau und zuletzt Mitglied der ersten preußischen Nationalversammlung angeführt. Ziel ist der südchilenische Hafen Corral, wo die Auswanderer sich ansiedeln wollen. Sie erreichen ihr Ziel nach 136 Tagen. Damit sind sie rund einen Monat länger auf See als andere Schiffe, deren schnellste rund 100 Tage brauchen. 12 Leute reisen als Kajütenpassagiere, der Rest im Zwischendeck, das die zu der Zeit üblichen Probleme aufweist. So war beispielsweise zunächst die Luke nach unten ohne wirkungsvolle Abdeckung, so dass die Zwischendeckspassagiere entweder überrollenden Wellen ausgesetzt waren oder unter Verschluss kaum Luft bekamen. Zwar konnte das noch auf der Elbe abgestellt werden, aber das Vertrauen zur Reederei Godefroy war damit angeschlagen.

Körner schreibt dazu: „Heut nacht haben sich nämlich die Mängel, die unser Schiff hat, sehr fühlbar gemacht. Es war früher ein Frachtschiff* und wurde erst jetzt zum Passagierschiff umgeschaffen, und zwar so mangelhaft, dass die Absicht des Hauses Godefroy & Sohn, sich bei unserer Auswanderung ein Profitschen zu machen, ganz klar an den Tag tritt.“

Anwandter beklagt im späteren Verlauf der Reise:

  • „Wir haben an dem ‚Hermann‘ auch einen tüchtigen Segler, aber wir würden noch besser segeln, wenn alle Segel beigesetzt werden könnten, was deshalb nicht möglich ist, weil der Reeder nicht genug Ballast einladen ließ; der Raum enthält zumeist Mauersteine, aber 8000 Stück waren weniger als es sein sollten.“
  • „Der Übelstand mit der zu leichten Beballastung ist nicht mehr abzustellen und bringt uns eine langsamere Reise.“
  • „Ein englisches Schiff, nach Ostindien bestimmt, überholt uns. Es führt aber auch 14 Segel und wir müssen alle bis auf sieben einreffen, weil unser Schiff zu wenig Ballast und zu wenig Schiffsmannschaft hat.“

Zunächst hält sich die Kritik des offensichtlich Kajüte reisenden Anwandter noch in Grenzen. Aber mit der Dauer der Reise steigt die Kritik, und das Vertrauen wird durch Probleme mit der Qualität des Proviants und des Trinkwassers weiter erschüttert.

„Wasser ist freilich sehr gutes an Bord – gutes rein filtriertes Elbewasser, – aber es ist bisher nur für die höhere Schiffsmannschaft und mit einige Kärglichkeit an die Cajüt-Passagiere gekommen, die Zwischendeckpassagiere empfingen nur Wasser aus anderen Fässern, was bereits übelchmeckendes und nur ordinäres Elbwasser ist, […] wie erbärmlich Knauserig ist diese Übervorteilung der Zwischendeckreisenden, deren Hauptlabsal noch immer ein möglicht guter Trunk klaren Wassers sein würde.“

Dann Körner: „Wenn man nur wenigstens einen Trunk Wasser, wie wir ihn zu Hause gehabt, sehen könnten“ „[…] Wasser, das erst durchgeseiht werden muss, um nicht einer Unzahl lebendiger Wesen ein trauriges Ende zu bereiten, warm wie Tee und von so üblem Geruch, dass man förmlich geschüttelt wird, sobald man seinen Gesichtsvorsprung über das Trinkgefäß bringt.“ „…ist das Wasser so schlecht, dass es durch alle Speisen hindurchriecht und -schmeckt.“

Was den Proviant betrifft ist von ekelhaft grünschimmerndem zähen Fleisch die Rede, das seifig schmeckt und vom Tagebuchschreiber über Bord gekippt wird. Auch ekelhaft schmeckender Reis wird erwähnt. Lediglich die Beschaffenheit der Hülsenfrüchte, von Graupen, Zwieback Mehl und Backobst wird nicht bemängelt. (Wer sich ein vollständigeres Bild über die Beköstigung anlässlich einer Seereise machen will, der sei auf die minutiösen Angaben August Röblings hingewiesen, die er anlässlich seiner Überfahrt nach New Ýork im Jahre 1831 machte.)

Aber es gibt in großen Abständen auch Lichtblicke, wenn z.B. Körner für den 31. August notiert, „Nachmittag wurden zwei Schweine geschlachtet, von denen eins für die Kajütenpassagiere und eins für uns Zwischendecker bestimmt ist.“

Ungünstige Winde und Stürme lassen es nicht zu, den idealen Kurs zu halten. So ist zwar Ende September die Breite der Falcklandinseln erreicht, aber sie können nur sehr weit östlich passiert werden. Immer wieder wird das Schiff zu weit nach Osten getrieben. Bereits auf der Höhe von Kap Horn angelangt, verliert man so dermaßen viel an Länge, dass das Kap erst 14 tage später umrundet werden kann.

Passagiere des Seglers Hermann

Ohne auf der langen Fahrt einen Hafen angelaufen zu haben, läuft der „Hermann“ am 12. November 1850 endlich in den Hafen Corral ein. 136 Tage auf See sind zu Ende. Ein schöne chilenische Internetseite https://historiadevaldivia-chile.blogspot.com/2013/10/barcos-inmigracion-alemana.html
listet nicht nur die mit der Hermann angekommenen Einwanderer auf, sondern auch die Fahrten der weiteren von Hamburg eintreffenden Segler.

 

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QUELLEN

Anwandter, Carl (2017): Desde Hamburgo a Corral. Diario de Viaje a Bordeo del Velero Hermann. 2. Aufl. Valdivia, Chile.

Dettmann, Arne (2017): Von Hamburg nach Corral. Carl Anwandters Tagebuchaufzeichnungen (Teil 1). In: Deutsch-Chilenische Wochenzeitung – Cóndor, 18.08.2017.

Dettmann, Arne (2017): Arbeitsame Einwanderer im Adoptiv-Vaterland Chile. Carl Anwandters Tagebuchaufzeichnungen (Teil 2). In: Deutsch-Chilenische Wochenzeitung – Cóndor, 25.08.2017. Online verfügbar unter http://www.condor.cl/geschichte/einwanderer-carl-anwandter-chile/.

Keller Finsterbusch: Die Deutsche Einwanderung in Chile im 19. Jahrhundert. Online verfügbar unter https://1837-auswanderer.de/index.php/chile/geschichte-der-deutschen-einwanderung.

Körner, Theodor: Tagebuch von Theodor Körner. In: Dokumente zur Geschichte der deutschen Einwanderung (3), S. 9–20.

Tyszka (1909): Eine Segelfahrtnach Chile vor 44 Jahren. In: Süd-und Mittel-Amerika (2), S. 36–38.

Historia de Valdivia: https://historiadevaldivia-chile.blogspot.com/2013/10/barcos-inmigracion-alemana.html

Anmerkung
*) Ein Modell des Schiffes findet sich in einem der Beiträge des Anwandter-Buches.

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