Weihnachtsplätzchen & Genealogie

Heute ist der dritte Advent. Gestern hatte ich zum nun schon traditionellen Grünkohlessen Familie zu Besuch. Mitbringsel war Selbstgebackenes aus der Adventsbäckerei. Auf der Suche nach einem angemessenen Geschirr, das der liebevollen Plätzchenbäckerei angemessen wäre, kam Großmutters hinterlassene und sonst nie benutzte Gebäckschale zu Ehren.

Gegenständliches als Quelle zur Familiengeschichte?

Großmutter Erica – geschiedene Teuthorn, wiederverheiratete und verwitwete Brenning, geborene Bachmann – hatte Geschmack, führte ein gastliches Haus und umgab sich gerne mit schönen Dingen. Die spiegeln natürlich auch den (gehobenen) Zeitgeschmack wider. Frau Apotheker, ja es war ihr wohl nicht unwichtig als Gattin des Groß-Justiner und dann Graal-Müritzer Apothekers Brenning so angesehen, vielleicht auch so angesprochen zu werden. Was wir heute – dabei die ein wenig daran weiter festhaltenden Österreicher gerne belächelnd – kaum noch verstehend als unangemessen betrachten, war zu ihrer Zeit eine Möglichkeit, sich als Frau ein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Die andere, die kämpferische Weise, war die der Suffragetten. Dazwischen die emanzipatorische der Lehrerinnen. Deren Preis war die Ehelosigkeit. Zwei von Ericas Kusinen hatten sich für diesen Weg entschieden. Anfang des 20. Jahrhunderts ließen ihnen die gesellschaftlichen Zwänge mit dem sogenannten Lehrerinnenzölibat keine andere Wahl. Aber ich schweife ab. (Ausführliche Familiengeschichte im Buch “Erinnerungen an Großmutter Erica”)

Also, bei der Apothekerswitwe Brenning, unserer Großmutter Erica, gab es natürlich mehrere Geschirre, Frühstücks-, Essens-, Kaffee- und Teeservice, Mokkatassen, Silberbesteck mit Gravur und dazu diese putzigen silbernen Messerbänkchen. An denen hatten wir Kinder immer besondere Freude, weil sie mit kleinen Tierköpfen verziert waren.

Alter Trödel?

Erica starb 1960 in er damaligen DDR. Trotz der bekannten Schwierigkeiten gelangten aus ihrem Nachlass Teile des Kaffeservices an meine in Hamburg lebenden Eltern. Beim Tod meiner Mutter und der notwendigen Entrümpelung der Wohnung brachte ich es nicht übers Herz diese Erinnerungsreste mit zu entsorgen. Aber niemand aus meiner Familie hatte Verwendung dafür. Und so belegen sie, auch von mir ungenutzt, nun bei mir Schrankplatz. Gebrauchsversuche erwiesen sich bald als wahnsinnig unpraktisch. Kaffee- und Teereste der nicht geschirrspülengeeigneten Teile lassen sich per Hand nur mühsam reinigen, aber das Wesentliche: Wer lädt heute noch zu ausgiebiger Kaffee- oder Teerunde ein und hält dafür ein zwölfteiliges Service vor? So wird das ererbte Stiefmütterchengeschirr zum Indikator für gesellschaftlichen Wandel und geänderten Lebensstil.

Ericas Meißner Porzellan bleibt in Deutsch-Südwest

Der Wert von Porzellan für einen historischen Hausstand wird deutlich, wenn Erica in ihrem Tagebuch anlässlich der Ausweisung aus Deutsch-Südwestafrika bedauert, ihr Meißner Porzellan zurücklassen zu müssen. Es wird sich wohl um das berühmte Zwiebelmuster gehandelt haben. Sie hat es sich nach der Rückkehr in Deutschland wieder angeschafft.

Sie schreibt:
Am 25. Mai feierten wir Onkel Thomas Geburtstag unten im Eukalyptuswald; es war eine große Gesellschaft da, man sang Lieder zur Laute und genoss den afrikanischen Sommerabend bis tief in die Nacht hinein; als es kühler wurde, machten wir ein großes Holzfeuer an und lagerten uns da herum und man trennte sich erst gegen Morgen, als das (S. 82) Kreuz des Südens schon verblaßte. – Plötzlich, am

Manches in dieser Küche Zubereitete wurde auf genanntem Meißener Porzellan serviert. (Siehe auch Kolonialhaus)

19. April 1919
kam der Ausweisungsbefehl
durch die engl. Regierung! Ein Donnerschlag für uns alle. Damit hatte niemand gerechnet! Wir alle glaubten, Südwest müsse ja deutsch bleiben, und so sehr wir den Urlaub herbeisehnten, genau so rechnete jeder mit der Rückkehr ins Schutzgebiet! Nun war mit einem Schlag alles anders. Schutztruppe, Polizei + Beamte mußten innerhalb von 3 Wochen reisefertig sein. Auch Privatpersonen wurden zu Hunderten ausgewiesen. Gründe wurden nicht angegeben! Wer sich „deutsch“ benommen hatte, mußte einfach hinaus, der war nicht geeignet zum Kolonisieren!! Vater u. ich gingen sofort zum stellvertr. engl. Gouverneur und schilderten unseren Fall. – 20 Jahre Südwest – dort Heimat -erst im Schutzgebiet Beamter geworden usw. Es war alles zwecklos. Major Herbst, dieser Mann mit dem deutschen Namen, lächelte ironisch und meinte auf englisch, es sei eben Krieg (S. 83) und Härten unvermeidlich! Wir könnten ja vielleicht in 5-10 Jahren wiederkommen!! Damit war unser Schicksal entschieden. Wir mußten unsere gute Existenz, unser schönes Heim, alles was uns lieb war im Stich lassen und wurden mit Tausenden, denen es ähnlich ging, ausgewiesen. Hals über Kopf wurde nun verkauft; der englische Jude Siebenstein verkaufte unser schönes Besitztum wie es stand mit allen meinen Möbeln, Geschirr usw. für 60.000 Mark. Und wir glaubten damals noch, leidlich gut verkauft zu haben und dachten wunder, was wir nun in der Heimat für das Geld kaufen könnten. Von einer Entwertung hatten wir ja keine Ahnung. […] Als wir vom Notar nach Hause kamen, war Heini sehr enttäuscht, daß wir nicht einen Sack voll Geld mitbrachten, sondern nur einen Scheck auf die Diskontobank in Berlin. Als es nun ans Packen ging, und wir nur das Nötigste an Wäsche + Garderobe mitnehmen konnten, waren die Jungen doch sehr traurig, daß sie alle ihre Spielsachen zurücklassen mußten und schimpften wacker auf die Engländer. Auch ich musste schweren Herzens mein so schönes Meißner Geschirr + vieles andere zurücklassen.

Das war vor nun einem Jahrhundert + einem Jahr!

Was weiß das Internet von Rosenthals Molière?

R. & C. ist noch fast intuitiv als Firma Rosenthal und Co. zu verstehen. Was aber besagt “Bavaria” und “Victoria Luise”. Ersteres deutet auf die Produktion in Kronach/Bayern hin, wo die erste Fabrik bereits 1897 gebaut wurde. Die zweite Bezeichnung auf die Serie. Sie ist auch als Chrysanthémes oder Stiefmütterschengeschirr verbreitet.

Mit diesem Beitrag ist das großmütterliche Geschirr und die damit verbundenen Erinnerungen fest in meiner Familiengeschichte verankert. Vielleicht finde ich einen Weg, die bei mir liegenden Stücke sinnvoll loszuwerden. Da mich heute die Nostalgie erfasst hat, durfte sich ein Teil heute neben meinen Notebook aufhalten.