Ein Obstbaum aus dem Blickwinkel des Genealogen

Dass ein Familienforscher einen besonderen Blickwinkel auf die Dinge hat, das kann wohl nur ein Hobbykollege verstehen. In der Genealogie spielt ja nicht nur das Deuten von Familiennamen eine Rolle, sondern auch das Sammeln von Namensvarianten. Bei Wanderungen / Migration, sei es in andere Länder oder sogar auf andere Kontinente, können Familienverbindungen oftmals nur erkannt werden, wenn man solche Möglichkeiten in Betracht zieht. Heute war ein Tag, darüber nachzudenken.
Ein Artikel über Robert Capa und den Spanischen Bürgerkrieg sowie eine Vorlesung an der LMU München, die ich als Gasthörer besuchte, waren der Anlass.
Jörg Häntzschel berichtete im Feuilleton der SZ über die Ausstellung “The Mexican Suitecase”, die bis zum 9. Januar 2011 im International Center of Photography in New York läuft.[1] Nach 68 Jahren wird 2007 in New York ein Koffer mit 4.500 Negativen aus dem Spanischen Bürgerkrieg gefunden. Die Autoren sind ein damals sehr junges Trio von Kriegsreportern. Alle starben nacheinander auf verschiedenen Kriegsschauplätzen. Die Ausstellung würde mich sehr interessieren, ist aber zu fern.  Was aber hier interessiert ist Folgendes:

  • Der aus Ungarn stammende Enre FRIEDMAN nannte sich Robert CAPA.
  • Seine Kollegin und Freundin, die Bildredakteurin Gerta POHORYLLE wurde Gerda TARO, und
  • der Pole David SZYMIN war David SEYMOUR.

Also aufgepasst bei Künstlernamen.

Anders liegt es bei dem polnisch-deutschstämmigen britischen Historiker Eric HOBSBAWM[2]. Zuerst wurde aus dem OBSTBAUM (Großeltern) 1870 durch einen Cockney sprechenden Londoner Beamten der Meldebehörde ein HOBSBAUM und dann später bei der Geburt des Enkels im damals britischen Alexandria ein HOBSBAWM, der er dann auch blieb.[3]
Natürlich fallen zu Namensvarianten unweigerlich auch die insbesondere anfangs der Frühen Neuzeit üblichen Gräzisierungen und Latinisierungen ein. Eine der bekanntesten dürfte der Humanist und Lutherfreund Philipp Melanchthon sein, der so den deutschen Namen Schwarzerd hinter sich ließ. Die Familie meines Vorfahren Matthias CORVINUS wird ursprünglich Rabe geheißen haben.[4]

Die Varianten zum eigenen Familiennamen habe ich mehrmals, u.a. auch im GenWiki dargestellt. Über die letzte unerwartete, aber schöne Variante TEUHTTON[5] statt Teuthorn hatte ich kürzlich berichtet. Hier war es, wie bei Hobsbawm, der Standesbeamte, der diese Namensvariante nach dem Gehör in das Dokument tippte. Übrigens war ich mit meinem jungen chilenischen Verwandten über Facebook ins Gespräch gekommen.


[1] http://museum.icp.org/mexican_suitcase/story.html (besucht 10.11.2010)
[2] In der Vorlesung ging es um die Besprechung von: Eric J. Hobsbawm, Dieter Langewiesche, und Udo Rennert: Nationen und Nationalismus, Mythos und Realität seit 1780 (Campus Bibliothek) (Taschenbuch – 7. März 2005)
[3]
David and Rose Obstbaum, who first landed in London in the 1870s and doubtless acquired the initial H of their name from a Cockney immigration officer, were dead. – Eric J. Hobsbawm: Interesting times: a twentieth-century life, Random House, 2002, ISBN 037542234X , S. 89. Siehe auch http://www.kultura-extra.de/literatur/literatur/rezensionen/rezension_hobsbawm.html (Besucht 10.11.2010).
[4]
Hierzu http://teuthorn.net/feuilleton/?s=corvinus&x=0&y=0
[5] http://teuthorn.net/feuilleton/?p=1277