Portugals strahlende Größe

Buchautor: António Lobo Antunes

Macht und Gewalt in Angola, ein Buch für starke Nerven

Antunes arbeitet mit diesem Buch die koloniale Vergangenheit Portugals auf. Dies gelingt ihm mit virtuosen literarischen Mitteln auf erschütternde und nachhaltig wirkende Weise.

Mit der starken Farmertochter Isilda, ihren Eltern und vor allem den Kindern – dem seine Identität suchenden Mischling Carlos, der vornehmlich ihren Sexualdrang auslebenden „Flittchen“-Tochter Clarisse, dem gefühllos brutalen Epileptiker-Sohn Ruisse – schafft Atunes sich ein extremes Personenszenario, das es ihm ermöglicht, sein skeptisch pessimistisches von Gewalt und Macht bestimmtes Menschenbild zu entwickeln.
Dieses Buch verlangt dem Leser starke Nerven ab. Die Brutalität der Darstellung steigert sich auf ein Ausmaß, wo Abstumpfung beginnt. Was wir von Afghanistan und Irak, von Folter, Überfällen und Verstümmelung durch aktuellen TV-Konsum bis zur Gewöhnung hören und sehen, kommt hier über das Medium Literatur.

Es geht um die physischen und psychischen Verletzungen von Kolonisatoren und Befreiern gleichermaßen, konkret von Portugiesen im postkolonialen Angola und den einheimischen in Bürgerkrieg verwickelten Angolanern im Übergang in die postkoloniale Freiheit, um Macht und Machtmissbrauch, um Aufbau und Zerstörung. Hass, Menschenverachtung, Destruktion und Chaos überwiegen.

Rücksichtslosigkeit und Ausgeliefertsein, Egoismus und Gleichmut, Brutalität und Hilflosigkeit, Überheblichkeit und Rachsucht, überbordender Reichtum und grenzenlose Armut, all diese Aspekte des unmenschlichen Menschen, wechseln auf der Grenze zwischen kolonialer und postkolonialer Zeit lediglich die Personengruppe.

Mir neue literarische Mittel werden virtuos eingesetzt. Satzzeichen aufgehoben zu Gunsten eines ununterbrochenen Gedankenflusses, der Erinnerungsebenen und Beobachtungspositionen zusammenschiebt. Eine Schreibtechnik, die filmische Elemente – Überblendung, Rückblende, Doppelbelichtung – adaptiert. Prosa und Poesie verschmelzen. Textwiederholungen werden mit nur leicht veränderten Textbausteinen eingesetzt. Fetzen auseinandergeschnittener Sätze, über mehrere Seiten verstreut, werden erst durch das Lesen zusammengesetzt. Wiederholungen wirken wie Refrains. Spannung und Ermüdung wechseln sich ab. Wie bei Gedichten erschließen sich Textstellen bei nochmaligem Lesen zu einer anderen Tageszeit mit frischer Konzentration neu, erscheinen in anderem Licht.

Ein anstrengendes aber sehr lesenswertes Buch.
PT Amazon Juli 2005