Da sitze ich nun in Makaronesien*, auf einer der Inseln der Glückseligen am äußersten westlichen Rand Europas, dort wo für die Griechen einst die Welt endete, dort wo vor Greenwich Europa begann. Denn hier, beim Leuchtturm von Orchilla verlief geographisch der Null-Meridian.
Man hat mich hineingelassen, obwohl man nicht wusste, immer noch nicht weiß, wie lange ich bleiben werde. Ich könnte ja vielleicht für immer bleiben wollen. Es hat gereicht, meine europäische Identitätskarte, meinen Personalausweis, vorzulegen. Eigentlich bin ich ja fremd hier. Aber ich bin EU-Bürger. Ich kann mich grenzenlos bewegen. Und das möchte ich mir nicht nehmen lassen. In den letzten Monaten hatte ich allerdings das Gefühl, dass diese Errungenschaft gefährdet ist.
Es droht die Rückkehr des eingrenzenden Nationalstaats. Wer keinen mehr reinlässt, läuft Gefahr anderswo selbst nicht hinein gelassen zu werden. Wissen die Angst verbreitenden politischen Scharfmacher das eigentlich? Die Geschichte unserer Familie ist ohne die Wanderungen über Grenzen nicht vorstellbar. Das musste ich mir erst kürzlich selbst einmal klarmachen. (http://teuthorn.net/feuilleton/?p=5016)
Für mein digitales Arbeiten unter den Glückseligen habe ich einen meiner Sticks mit viel Speicherplatz eingesteckt. Und was finde ich darauf? Einen vergessenen Reimversuch. Er passt zum Thema. Und deshalb werde ich diese Zeilen jetzt hier preisgeben. Anlass war die vor drei Jahren anschwellende Überfremdungsangst der Schweizer. Man müsse nicht nur ausschaffen (das deutsche Abschieben) sondern dürfe erst gar nicht mehr hineinlassen. Ich dachte damals, was (nicht) geschehen wäre, hätte man meine Schwester um 1965 nicht hineingelassen. Wo, und unter welcher Nationalität wären die neuen Schweizer stattdessen herangewachsen? Ach so, sie wären dann ja keine Schweizer. Dann wohl einfach Europäer. Oder? Geht’s noch?
Schweizer Enkel
Die Schweiz von Fremden überlaufen.
Es ist einfach zum Haare raufen.
Doch in der nächsten Gen’ration
sind deren Kinder Schweizer schon.
Das wussten Alfred schon und Hedi
Nicht widersprachen sie dem Fredi
als der die deutsche Ute nahm.
Da wurd‘ zur Barbara die Dam‘.
Das Maderl aus dem Großen Kantón
schenkt gleich der Schwyz ihr’n ersten Sohn.
Vor Berg-Heidis hat’s dem gegraut.
Da nahm er sich die Flo zur Braut.
Die war zwar aus dem Libanon,
aber, mein Gott, was heißt das schon.
Vergessen ist längst das Arabisch,
sie liebt den Schweizer auf Christianisch.
Der Andy kam aus Engeland
und nahm die Cathrin an die Hand.
Ein Brite ist oft liberal,
für Schweizer Nachwuchs ideal.
Viel später wer’n die Enkel lernen,
die Großis kamen aus den Fernen.
Ob sie das dann dem Blocher sagen?
Wer ist denn der, werden sie fragen.
PT 2013
*) macaronesia (Español)