Der Anstoß
Noch als Abiturient erhielt ich von meinem Großvater eine mit handschriftlichen Ergänzungen versehene Ausgabe der Wippermannschen Stammtafeln. Diese hatte bereits sein Großvater besessen, der als Barbierchirurg von Frankenhausen nach Kiel ausgewandert war. Mein Großvater Emil, der zwischen den Weltkriegen mit einem Gemüsegroßhandel in Greifswald erfolgreich war, hatte trotz geringer Zeit dafür, sogar die Stadt der Teuthorn-Vorfahren besucht. Im Stadtarchiv, dem heutigen Regionalarchiv, ist sein Besuchsvermerk noch erhalten.
Forschungsverlust Ditthorn
Großvater korrespondierte mit seinem „Vetter“ Dr. Fritz Ditthorn, Abteilungsdirektor im Ruhestand in Regensburg, also einem jener Pensionäre aus dem gehobenen Beamtenstand, der zu jener Zeit ohne Zögern als Genealoge bezeichnet werden durfte. Dieser versuchte den gemeinsamen Ursprung der Familienstämme Ditthorn-Teuthorn zu ergründen. Von seinen Bemühungen fand ich keine überlieferten Ergebnisse, wohl aber Hinweise auf vorbereitende Arbeiten und Pläne für das Deutsche Geschlechterbuch, die die Kriegsereignisse wohl zunichtemachten. Für mich heute eher befremdlich, aber für die Zeit bezeichnend, kann ich im Brief eines mit dem möglichen Druck befassten Bearbeiters nachlesen: „21.1.44; Besonders interessiert hat mich auch das prächtige Geschlecht der Teuthorn, das in Frankenhausen Jahrhunderte führend war.“ Das muss uns heute sowohl in Diktion (Geschlecht) und Wertung übertrieben und eigentümlich verherrlichend erscheinen. Auch sind nun matrilineare Sichten keine Ausnahme mehr.
Von den Arbeiten Ditthorns konnte ich, wie gesagt, bisher nichts auffinden. Der heute oft beklagte Verlust von Forschungsergebnissen durch fehlende späte Publikationsabsicht und frühen Tod ist also nicht neu, sondern offensichtlich unserem Hobby immanent.
Einbettung in Regional- und Sozalgeschichte
Auf der Basis des Vorgefundenen interessierte mich natürlich besonders die eigene Familie, Verwandtschaft zu den übrigen Ratsfamilien, das gesamte städtische soziale Umfeld, Berufe, Ratswechsel, Universitätsbesuche, Abwanderung in deutsche Länder und später nach Übersee und so weiter und so fort. Damit erwähne ich Beispiele für gesellschaftliches Zusammenleben, die ich stets eher aus der Brille des Historikers, als aus der Sicht des Genealogen betrachte und auch entsprechend darzustellen versuche. Damit habe ich für mich die Frage “was Genealogie eigentlich bezwecken soll“ beantwortet. Sie kann keinen vorgegebenen in Stein gemeißelten Zweck haben, sondern genealogische Forschung muss vielmehr die Erzählung des Forschers durch mit Quellen und saubere Schlüsse gestützte Fakten absichern.
Textverarbeitung / Genealogieprogramm / Publikationsformen / Forschung erhalten
Ich bekenne, dass ich die Anfang 2021 in der ZMFG herausgestellten „Leipziger Richtlinien der Deutschen Zentralstelle für die Darstellung genealogischer Rechercheergebnisse“, die „eindeutig […] und vor dem elektronischen Zeitalter allgemein anerkannt“ gewesen sein sollen, nicht oder zumindest nicht bewusst anwende. Für meine Darstellungen ist eine solch systematische Einengung auch wenig hilfreich.
Meine gewählte Softwarelösung GFAhnen bietet eine so große Vielfalt an Darstellungsmöglichkeiten, dass ich für jeden Anlass die passende Lösung finde. In die jährliche Optimierung des Genealogieprogramms gehen auch ständig Verbesserungsvorschläge erfahrener Forscher ein.
Bereits früh hat mich in einschlägigen Zeitschriften die oftmals nur dem Kekulesystem folgende Darstellung eher abgestoßen. Auch die Vollständigkeit einzelner Linien ist für mich zwar erstrebenswert, aber oft nur deshalb wichtig, damit die geschichtlich-sozialen Verhältnisse verstehbar werden.
Meine Ergebnisse übermittle ich also nicht nach Leipzig. Dafür sind sie nicht geeignet. Sondern ich sichere sie, wenn man so will, per Aufsatz und Buch. Beispiele dafür sind
Erinnerungen an Großmutter Erika 1885-1970 und Die Famile Teuthorn-Nagel. Sie haben eine jeweils eigene Form, die sich immer nach der Absicht der zu erzählenden Familiengeschichten richtet. Dem heute durch Software geprägten, kaum differenzierenden Begriff der Familienchronik kann ich nichts abgewinnen, da er meine Formen nicht abdeckt. Per ISBN sind diese Arbeiten in der DNB (Deutsche Nationalbibliothek) auffindbar archiviert. Das ist trotz dortiger Kapazitätsgrenzen sogar für meinen Genealogie-Blog möglich. Ich freue mich über diese Lösung, denn im Allgemeinen werden Blog-Beiträge ja als besonders flüchtig angesehen. Regelmäßiger, allerdings auf amerikanischen Servern, werden meine Websites auf https://web.archive.org/web/*/teuthorn.net/feuilleton gesichert.
Meine Bücher haben selbstverständich auch die Archive meiner Vereine SHFam und AMF erhalten.
Möglichkeiten der Online-Datenbank Geneanet
Mit dem Ziel, möglichst viel zur Familie und ihrem jeweiligen zeitgenössischen Umfeld festzuhalten und zu veröffentlichen, nutze ich nicht nur Verlage, sondern auch die seriöse Online-Datenbank Geneanet. In Kombination mit einem Buch können so auch Ergänzungen und Fehlerkorrekturen veröffentlicht werden. Zudem ist eine vielfältigere Präsentation des zu Grunde liegenden Datenbestands möglich als er im Anhang eines Buches möglich ist.
Gegen die zu beobachtende Auswüchse anderer kommerzieller Online-Datenbankanbieter kann ich mich nicht wehren. Ich kann aber versuchen, ihre Mechanik zu verstehen, gewisse Möglichkeiten zu nutzen, und ansonsten meinen eigenen Weg zu gehen. Alle angebotenen Leistungen grundsätzlich abzulehnen und sich in seiner Studierstube einzuschließen ist für mich keine Lösung.
Zum Beitragstitel zurückkehrend kann ich feststellen, dass ich Genealogie zwar ernsthaft und so genau wie möglich, aber zu meinem eigenen Vergnügen betreibe, immer auch mit dem Ziel, meine Einsichten der Familie und anderen Interessierten mittzuteilen und die Ergebnisse möglichst zu erhalten. Dabei darf man sich wünschen, aber kaum hoffen, dass einmal ein Enkelkind an dem interessiert sein wird, was der Großvater – als Enkel wiederum seines Großvaters – über Jahre zusammengetragen hat.
*) Dieser Artikel wurde durch eine Debatte ausgelöst, die im April 2021 in Mailingliste und Blog der AMF begann und sich um Zweck und Ziel von Genealogie sowie die sogenannten Leipziger Richtlinien zur Ablieferung von Ahnenlisten drehte.