Ich brachte es nicht über’s Herz, diesen Stapel mit Strickskizzen und Ornament-Entwürfen zu entsorgen. Und nun überlege ich, wozu ich ihn so lange aufbewahrt habe, und was ich damit anfange.
In den Mustern, die jetzt niemand mehr braucht, manifestieren sich sechs Jahre Nachkriegszeit in der Mansardenwohnung unter dem Dach des Eckhauses am Greifswalder Markt. Der Vater bis Ende 1951 in russischer Gefangenschaft. Wie sollte eine alleinstehende Mutter sich und ihre drei kleinen Kinder in diesen Jahren durchbringen. Leni Teuthorn, geb. Malinowsky (1913-2007) versuchte und schaffte es mit Stricken.
Wolle gab es nicht. Woher also das Material nehmen? Es gibt für alles eine Lösung, um so mehr in der Not. Jetzt waren es ungebrauchte Zuckersäcke aus einem Jute-Zellulose-Gewebe. Ich erinnere mich, dass eine russische Kundin die Säcke brachte und zeigte, wie man die weißen Querfäden herauslösen konnte. Also aufräufeln – das machten wir Kinder -, die relativ kurzen Fäden mit Stopfnadel miteinander verbinden, das war schon schwieriger, den gewonnenen Faden über die Hände der Kinder aufwickeln, färben, trocknen, zum Knäuel aufwickeln (wie oft habe ich das gemacht!) und dann los.
Nicht immer konnten die Kundinnen den Preis des fertigen Pullovers, Rockes oder Kleides in bar bezahlen. Aber Naturalien konnten durchaus wertvoll sein. Ich erinnere mich, wie eine korpulente Russin schwitzend und schwer atmend mit einer Transporttasche voller Briketts die Dachstiege heraufkam. Pst, machte sie. Ihr Mann dürfe davon nichts wissen. Für uns war damit für eine gewisse Zeit sparsames Beheizen des großen Kachelofens möglich. Mehr als zwei Briketts pro Tag waren nicht drin, und wir Kinder durften uns, einer nach dem andern, Hände und Rücken an den warmen Kacheln wärmen, die Eisblumen am Fenster der Dachgaube vor uns im Blick.
An Aufträgen war bald kein Mangel. Ich erinnere mich, dass Mutter ein bis zwei Strickerinnen beschäftigte. Natürlich alles per Hand. Maschen aufnehmen, abmessen, zu kurz, aufräufeln wieder von vorne, “Hella, nicht so fest, du musst lockerer stricken”.
Leni bewarb sich für eine Modenschau, die im Greifswalder Stadttheater stattfand. Extra für dieses Ereignis entwarf sie einen Morgenmantel, der dann von einem Modell präsentiert wurde. Die Arbeit wurde prämiert, und Mutter war stolz darauf. Konnte sie auch. Stricken konnten viele, aber wer machte schon solche Entwürfe!
Verweis: Dieser Beitrag ist ein Beispiel für meinen Appell, Bruchstücke von Familiengeschichte nach und nach per Blog zu publizieren. Siehe Familiengeschichten per Blog publizieren.
Siehe auch Ego – Erinnerungen & Selbstzeugnisse