Sanella / Hamburg 1952

Im Jahr 1952 kamen meine Mutter und ihre drei Kinder als Flüchtlinge in Hamburg an. Mein spät aus russischer Gefangenschaft heimkehrender Vater hatte sich nach Hamburg entlassen lassen. Weil das der Greifswalder Obrigkeit nicht gefiel, verweigerte diese die beantragte Ausreise in den Westen. Die zynische Begründung war, eine Familienzusammenführung sei ja möglich, wenn der Vater in die DDR käme. So blieb nur der illegale Weg einer Flucht. Der Flüchtlingsausweis C dokumentierte unseren Status als Sowjetzonenflüchtlinge. In unserem Sprachgebrauch kam die DDR nicht vor. Wir waren aus der Ost- bzw. Sowjetzone geflüchtet.

Mit einer Sozialwohnung in Hamburg-Stellingen durfte die nun vereinte fünfköpfige Famlie sich auf 50 Quadratmetern mit Kochnische, Bad ohne Wanne, Kohleofen und geschenkten gebrauchten Möbeln glücklich schätzen. Die allerersten Matratzen waren Strohsäcke! Das knappe Budget zwang zu kreativem Sparen. Der Dreizehnjährige wurde zum Einkaufen von Butter und Margarine geschickt. Zu Hause wurden beide, halb und halb, in einer großen Schüssel zu einer neuen Substanz verknetet. Unnötig zu betonen, dass dieses Streichfett nicht auf´s Brot gestrichen sondern dünn “gekratzt” wurde. Mit diesen ersten Jahren in Hamburg verbinde ich immer noch den SANELLA-Würfel. Später gab es die Margarine im Becher, dann in eckiger Schale. Mit der teureren Rama wurde das Angebot vielfältiger. Wir blieben bei Sanella. Irgendwann später konnte das zusammengeknetete Streichfett zum Frühstück dann endlich durch Butter ersetzt werden, und die Margarine wurde nur noch zum Braten gebraucht.

Bei meiner Recherche fand ich unter zeitgeschichte.hamburg.de folgende Ausfügrungen:

“Und noch eine kleine, aber signifikante Änderung ist in den Kieler Haushaltsbüchern zu beobachten: Herr Z. begann im Frühjahr 1951 nicht mehr nur »Margarine« oder »Kokusfett« zu schreiben, sondern bezeichnete die jeweiligen Sorten mit ihren Markennamen: »Sanella« und »Palmin«. Die Differenzierung zwischen besseren und minderen Qualitäten, die sich im Jahr zuvor allein durch die unterschiedlichen Preise ausgedrückt hatte, wurde jetzt durch die Markennamen gekennzeichnet. Das setzte sich in den folgenden Jahren fort, indem neben »Palmin«, »Sanella« und »Backfett« auch »Eigelb-Margarine«, »Tafel-Margarine« und schließlich, ab November 1954, »Rama« eingetragen wurde. Dieses »Namhaft-Machen« der Differenz bezeichnete nicht allein die unterschiedlichen, qualitativ höheren Margarinesorten, die sich die Familie Z. jetzt leisten konnte, charakterisierte nicht nur verbesserte Lebenshaltung. Es verwies zugleich auf die gewachsenen Wahlmöglichkeiten, auf die Optionen, die jetzt realisiert werden konnten. Vor allem aber unterschied es die Sorten nicht mehr nur durch ihre stoffliche Verschiedenheit, sondern durch die Namen ihrer Marken. Der Warenname, ein von der stofflichen Substanz abgelöstes Zeichen wurde zum wesentlichen Träger der Differenz.”


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